Erleichtert die Plackerei hinter uns gebracht zu haben, fuhren wir in die Stadt, um unsere seit Tagen durchnässte, völlig verdreckte Kleidung im örtlichen Waschsalon wieder auf Normalzustand zu bringen. Die Wartezeit verbrachten wir in diversen Shops der Stadt. Auch auf den anderen Plantagen schien die Ernte vorbei zu sein, denn es wimmelte nur so von äußerst gut gelaunten Polynesiern. Ihre Konten ordentlich gefüllt, war es für sie nun an der Zeit, wieder zu ihren Familien zurückzukehren. Diese Vorfreude ließ sich nicht verbergen. In den Schnäppchenshops wurde eingekauft was das Zeug hielt. Es war köstlich mit anzusehen, wie sie, einen riesigen Einkaufswagen vor sich herschiebend, singend durch die Gänge liefen und tonnenweise Süßigkeiten, Kekse und Chipspackungen in den Wagen luden. Jan fragte einen von ihnen scherzhaft, ob er das alles alleine essen würde. Freudestrahlend antwortete er, dass das alles für die Kinder zuhause sei. „Ooooh, die werden sich freuen!“, strahlte er und griff freudig, summend nach dem nächsten Schokoriegelkarton, welchen er nach einem Ausfallschritt mit abschliessender Pirouette, in den Einkaufswagen beförderte. Leichtfüßig wurde sich von einem Regal zum nächsten getanzt: „*La-la-laaa*…Neun Packungen davon…oh und noch eine Box hiervon…*Dum-di-dummmm*…Uuuuh, was ist das?…Ach egal, ich nehme einfach mal zehn Tüten mit…! “
Einfach herrlich was für eine Freude sie dabei hatten. Angesteckt von der guten Laune, begaben auch wir uns auf Einkaufstour. So schnell gepflückt wie die Jungs, hatten wir leider nicht und
so wurden wir schon fast mitleidig angeschaut, als wir uns mit nur vier Dosen Schnitttomaten an der Kasse anstellten. Es war nicht so, dass es
sich für uns nicht auch gelohnt hat, aber die meisten Dinge in dem Shop, waren nicht wirklich günstiger als im Supermarkt und das hart verdiente Geld, wollten wir dann auch nicht für
irgendwelchen Süßkram gleich wieder zum Fenster rausschmeissen. Wenn man bedenkt was für Naschkatzen wir eigentlich sind, ein nicht immer ganz einfaches Unterfangen. Aus diesem
Grund belohnen wir unsere Zurückhaltung auch hin und wieder mit etwas Außergewöhnlichem, wie beispielsweise einem frittierten Schokoriegel, mit welchem der Imbiss direkt neben dem Waschsalon
warb.
Obgleich wir uns nicht in Schottland befanden, wo diese "Spezialität" ihren eigentlichen Ursprung hat, wollten wir unbedingt herausfinden, wie so ein frittierter Marsriegel im Backteig wohl schmecken mag. Während unsere Kleidung noch eine Extrarunde im Trockner drehte, bestellten wir uns also kurzerhand dieses Goodie. Zugegeben, die erhoffte Belohnung war eher das Gegenteil, denn der panierte Riegel wurde in dieselbe Fritteuse geworfen, in welcher auch der Fisch und die Pommes schwammen. Wie das dann schmeckt, brauchen wir euch nicht zu erzählen. Fazit: Vorerst nicht Wiederholungswürdig! Falls wir jedoch irgendwann einmal in Schottland sein sollten, werden wir dieser sündigen Kalorienbombe noch eine zweite Chance geben, denn die Kombination aus Panade und geschmolzener Schokomasse empfanden wir eigentlich als sehr gelungen. Den Fischriegel hinter uns gelassen, beschlossen wir den letzten Apfel-Feierabend, schön eingemummelt in trocknerwarmer Kleidung, bei einem großen Teller Spaghetti mit Tomatensoße und einer extra Portion Käse zu zelebrieren. Beim Abschütten des Kochwassers wurden wir auf den Vollmond aufmerksam, der durch seine seltsame Farbe unser Aufsehen erweckte. Jetzt dämmerte mir, von was "Mr. Blabla" an diesem Morgen gesprochen hatte. "Mr. Blabla" war ein neuseeländischer Apfelpflücker Mitte fünfzig, der meist in der Reihe neben uns arbeitete. Seinen richtigen Namen kannten wir nicht, zu sehr war er damit beschäftigt, den lieben langen Tag irgendwelche Geschichten in unverständlichem Englisch zu erzählen. Da wir alle ständig in Bewegung waren, drangen davon auch meist nur einige Wortfetzen zu uns durch, die dann erst recht keinen Sinn mehr ergaben. Die Tatsache, dass er aufgrund dessen, die meiste Zeit eigentlich nur mit sich selbst sprach, schien ihn dabei aber nicht zu stören. Wenn er nicht fragte, was es zum Abendessen gab (um 6:30 morgens! Wir hatten noch nicht einmal gefrühstückt...), sprach er stundenlang über seine Zeit als Pferdewirt in Australien, Pferderennen und aktuelle Wetten die er gerade am laufen hatte. Das zumindest ergab das Zusammentragen der Wortfetzen am Ende jedes Tages. So assoziierten wir auch seine Worte über "Blood Moon" mit einem Rennpferd, um was es sich, in Anbetracht des tiefroten Mondes über uns, wohl ausnahmsweise nicht zu handeln schien. Ein Nachfragen bei Google ergab, dass wir gerade Zeugen einer kompletten Mondfinsternis wurden. Ein krönendes Ende für all die Mühen der letzten Tage. Und diesmal konnten wir uns sicher sein: Es war definitiv das letzte Mal, dass wir dort hin gegangen sind. Die darauf folgenden Tage verweilten wir noch in Hastings, in der Hoffnung, dass sich vielleicht doch eines der Packhäuser bei uns melden würde. Viel unternehmen konnten wir in dieser Zeit allerdings nicht, denn es zog gerade der Ausläufer eines Zyklons über die Region hinweg und so genossen wir einfach die Tatsache, im angenehm Warmen zu sitzen und unsere geschundenen Knochen mit absolutem Nichtstun zu verwöhnen. Während draussen der Regen gegen die Scheiben peitschte und der Wind den Camper ordentlich durchschüttelte, läuteten wir den Start in das Camperleben, standesgemäß mit einer Packung Marshmallows ein, welche wir in einer Decke eingemummelt, über dem Gasherd grillten. Auch für Unterhaltung wurde gesorgt, als zu später Stunde noch ein riesiges Wohnmobil eintraf und sich in einem der mittlerweile randvoll gefüllten Schlammlöchern festfuhr. Der kostenlose Campspot lag direkt am Meer und dementsprechend stark wütete hier das Unwetter. Wir hatten ja schon Bedenken, mit unserer kleinen Sardinenbüchse über die matschige Graslandschaft zu fahren und waren heilfroh, nun nicht in deren Schlam(m)assel zu stecken.
Krampfhaft wurde versucht wieder herauszukommen, mit dem Ergebnis sich gleich im nächsten Loch erneut festzufahren. Wir beobachteten das Treiben eine Weile und überlegten, ob wir ihnen unsere
Hilfe anbieten sollten, denn es machte den nicht Anschein, als hätte man eine Ahnung von dem, was man da tat. Während der Mann im strömenden Regen, um das Wohnmobil herum stapfte und mit dem
Unterlegkeil versuchte die Räder frei zu schaufeln, saß die Frau am Steuer und gab wie eine Irre, unaufhörlich Gas.
Vorwärts - Rückwärts - Vorwärts - Rückwärts. Untermalt von Dreckfontänen und dem aufheulendem Motor, grub sich die Hinterachse immer tiefer in das Erdreich. Beinahe hätte sie ihren Mann überrollt, der sich zwischenzeitlich hinter das Wohnmobil stellte und allen Ernstes versuchte, das sieben Tonnen Schiff mit bloßer Manneskraft aus dem Schlammloch zu schieben. Wir wollten schon jubeln, als man endlich auf die Idee kam, den Unterlegkeil für seinen eigentlichen Zweck zu benutzen, allerdings vergas man die Kleinigkeit, diesen auch in der Richtung anzulegen, in welche man zu fahren gedenkt. Die durchdrehenden Räder hatten den umliegenden Untergrund mittlerweile weiträumig durchgepflügt und so blieb ohnehin nur noch eine Lösung auf Erfolg: Abwarten bis das Unwetter vorüber und der Boden etwas angetrocknet ist. Das sahen die beiden dann glücklicherweise auch ein und ließen vorerst von weiteren Unternehmungen ab. Tags drauf konnte das Wohnmobil, dank den hilfreichen Tipps eines anderen Campers, binnen weniger Minuten aus der misslichen Lage befreit werden. Die Investition in unseren umweltfreundlichen Camper, hat sich übrigens definitiv gelohnt. Überall gibt es zahlreiche, kostenlose Übernachtungsmöglichkeiten, welche wir dank des netten, grünen Aufklebers auch voll nutzen können. Die einzige Einschränkung bezieht sich auf die Anzahl der Nächte, die man an einem Ort verbringen darf. Wer allerdings dachte, sich auch ohne Zertifikat, auf einen dieser Plätze stellen zu können, der bekam Besuch von der Security, welche jede Nacht die Campspots kontrollierte und „illegale“ Camper, nach dem aushändigen einer netten Geldstrafe, des Platzes verwies. So bekamen wir beinahe täglich das Schauspiel uneinsichtiger Backpacker in sogenannten Sleepervans geboten, welche sich teilweise direkt vor das Hinweisschild stellten oder aber davon ausgingen, die Security würde sie nicht sehen, wenn sie ihren Van ziemlich abseits zwischen den Büschen versteckten. Nach deren Eintreffen war das Gejammer dann groß und es wurde sich um Kopf und Kragen geredet. Wenn wir nicht gerade, versteckt hinter den Vorhängen unseres Campers, mit Spannung diesen Diskussionen lauschten, vertrieben wir uns die verregneten Tage in der örtlichen Bücherei und beim Stöbern in den gefühlten hundert Opportunity Shops, welche über die ganze Stadt verteilt waren. Selbstverständlich haben wir auch der kleinen Schokoladenmanufaktur nahe Hastings einen Besuch abgestattet. Schließlich galt es zu prüfen, wie es um deren Pralinenherstellung steht und etwaige, ausgefallene Variationen auszuspionieren. Leider war alles sehr auf Tourismus getrimmt. Trotz mittelmäßiger Qualität, waren die Preise unverschämt hoch und auch auf die spekulierten Probierhäppchen, hofften wir vergebens. Die gab es nämlich nur, wenn man gewillt war zwischen $12 und $79 pro Person für eine Tour zu bezahlen, die je nach Preisstufe neben ein paar kleinen Häppchen, auch noch einen Einblick in die Schokoladenküche durch ein Guckfenster (im Shop ohnehin für jeden einsehbar, nur ohne Guide) sowie den Eintritt in das knapp fünf Quadratmeter große Schokoladenmuseum beinhaltete. Nicht zu vergessen, das ominöse Bonusgeschenk für jeden Teilnehmer einer Tour ab $36. Na wenn DAS nicht ein Deal ist!?
Unbeeindruckt verließen wir den Shop und warfen einen Blick in das angrenzende Café, das uns mit den Worten „REAL Hot Chocolate“ lockte. In unseren Köpfen schwirrten augenblicklich wieder die
Erinnerungen an den kleinen Schokoladenshop in Melbourne (Australien), in dem wir dieses ultimative
Geschmackserlebnis bereits einmal erleben durften. Der dortige Chocolatier, übrigens ein Belgier, verstand sein Handwerk und wusste diese Definition perfekt umzusetzen. Eine frisch zubereitete,
dickflüssige Ganachè zum löffeln! Der intensive Schokoladengeschmack raubte einem die Sinne. Es war der Himmel auf Erden! Ohne zu übertreiben, alleine deswegen würden wir noch einmal nach
Melbourne fliegen. Alle Versuche, seinesgleichen zu finden, waren bisher leider vergebens, aber weil man ja bekanntlich die Hoffnung nie aufgeben sollte, wollten wir auch diesem Café eine Chance
geben. Zwei Minuten später folgte dann auch schon die Ernüchterung. Hier links im Bild zu sehen...
Serviert wurde eine geschrumpfte Espressotasse, unter deren pompösen Sprühsahnetopping, man sich auf die Suche nach den wenigen Millimetern Schokolade begeben durfte, welche dann zu unserer Verwunderung auch noch kalt war. Auf unsere Nachfrage hin, gehörte das wohl so, wurde ja bereits am Vortag schon zubereitet. Wieso heißt es doch gleich HOT Chocolate? Das Angebot sie aufzuwärmen, nahmen wir gerne an. Schwupps in die Mikrowelle damit und drei Minuten auf höchster Stufe gebraten, auf das auch noch der Rest der Schokolade verpufft! Getreu dem Motto „Schlimmer gehts immer“. Um etwas Wertverlust wieder gut zumachen, verweilten wir den ganzen Nachmittag in dem Cafè, tranken literweise das kostenlose Tafelwasser und füllten unsere Handdesinfektionsflasche am hauseigenen Spender wieder auf. Obendrauf gab es vom Nachbartisch noch ein Kuchenstück spendiert, das den Geschmack des Gastes wohl nicht ganz zu treffen schien. Das wiederum schmeckte eigentlich ganz gut, was aber wohl eher darauf zurückzuführen war, dass jemand anders die $8,90 dafür entrichtet hatte. Als wir drei Tage später immer noch keinen Bescheid von den Packhäusern hatten und es allem Anschein nach, in Hawkes Bay auch anderweitig keine Arbeit mehr zu finden gab, weiteten wir unsere Suche aus und stießen im Internet auf ein Jobangebot in der knapp zweihundert Kilometer entfernten Bay of Plenty. Dort hatte die Kiwisaison gerade begonnen und es wurden laut Anzeige noch Erntehelfer benötigt. Nach einem kurzen Telefonat, hatten wir die Zusage. Bereits am kommenden Wochenende sollte es losgehen, mit etwas Glück möglicherweise auch schon zwei bis drei Tage früher. Obwohl es bis zum möglichen Arbeitsbeginn noch gut eine Woche war, beschlossen wir dennoch uns gleich auf den Weg zu machen, so dass wir schon vor Ort wären, wenn der Startschuss fallen würde. Zuvor statteten wir aber noch dem Farmers Market in Hastings einen Besuch ab. Wie wir erst im Nachhinein erfuhren, soll er zu einem der schönsten der Nordinsel gehören und er war in der Tat, wirklich sehr nett aufgemacht. In einer Parkanlage zwischen riesigen, alten Bäumen gelegen, reihten sich an die fünfzig Stände, die neben Obst- und Gemüse, eine riesige Auswahl an hausgemachten Lebensmitteln anboten. Für eine entspannte Bummelatmosphäre sorgte ein älterer Mann mit Melone (der Hut ist hier gemeint), der unter Begleitung seiner Gitarre, allerlei bekannte Lieder sang. Egal ob frisch zubereitete Fruchtsäfte, Käse, Olivenöl, Würstchen, Chutney, Brot, Sprossen oder Yoghurtmüsli, hier war für jeden etwas dabei. Wir schlenderten gemütlich über den Markt, führten hier und da ein Schwätzchen und kosteten uns durch die zahlreichen Probierhäppchen, bei denen man hier alles andere als geizig war. Da waren einige richtig leckere Sachen dabei. Besonders angetan hatte es uns ein Stand, der eine kleine aber feine Auswahl, unterschiedlicher Käsesorten aus Schafsmilch anbot. Der angebratene Haloumi war ein Gedicht und auch der würzige Bergkäse war sensationell. Wir beschlossen, dass uns diesmal der Preis nicht reuen sollte und suchten uns das kleinste Stückchen auf dem Tisch aus. Gerade mal so groß wie zwei Streichholzschachteln, sollten sich die Unkosten noch in Grenzen halten. Die Zahl welche dann allerdings an der Waage aufleuchtete, erinnerte uns schlagartig daran, dass wir doch blöderweise vergessen hatten, genügend Bargeld mitzunehmen. Eigentlich schade, dass wir uns dieser Notlüge bedienen mussten, denn es war wirklich mal ein richtig guter Käse, aber das waren wir dann doch nicht bereit zu zahlen. Das Essverhalten von uns, spielte dabei wohl auch eine ausschlaggebende Rolle.
Wer Jan kennt, der weiß wovon ich spreche, für alle anderen sei erwähnt, dass in seinem Magen eine Art schwarzes Loch zu existieren scheint, das alles Essbare wie einen Staubsauger anzieht und
augenblicklich verwinden lässt. Während ich mir etwas gerne in kleinen, hauchdünnen Häppchen auf der Zunge zergehen lasse, ist bei Jan das Ganze im Nullkommanichts inhaliert. Gerade bei
solch exquisiten Dingen, ist das dann doch etwas zu kostspielig. Also ließen wir „Kirby“ (Für alle die nicht wissen wer das ist: Kirby ist ein rosa, ballonförmiger Videospielcharakter, dessen Fähigkeit es ist, in Windeseile
alle nur erdenklichen Dinge in sich einzusaugen) lieber weiterhin durch die Probierstände fegen. Nachdem wir einige Extrarunden gedreht hatten und Jans Hunger im
Ansatz gestillt war, machten wir uns auf den Weg in die Bay of Plenty. Wir hielten nochmals an dem Wasserfall, bei welchem das Wetter zwar auch diesmal nicht gerade berauschend war, aber
zumindest einen regenfreie Aussicht bot.
Nach einem kurzem Tankstop in Rotorua, erreichten wir am späten Nachmittag die angesteuerte Region. Die erste Nacht verbrachten wir einige Kilometer vor dem eigentlichen Ziel, um uns die dortigen kostenfreien Campspots für später aufzusparen. Dieses hieß „Te Puke“, eine Kleinstadt 28 Kilometer südöstlich von Tauranga, auch bekannt als die Welthauptstadt der Kiwifrucht. Und das nicht ohne Grund: Neuseeland exportiert jährlich 100 Millionen !! Kisten Kiwis in 62 Länder auf der ganzen Welt. Davon werden knapp 90% in dieser Region angebaut. Unvorstellbar oder? So wollten auch wir uns am nächsten Morgen selbst ein Bild davon machen und fuhren dorthin. Bereits etliche Kilometer vorher reihte sich eine Plantage an die nächste. Überall standen meterhohe, dichte Hecken aus Nadelholz, die als Windschutz für die empfindlichen Pflanzen dienten. Bei näherer Betrachtung der Plantagen fragten wir uns allerdings, ob es denn wirklich so eine gute Idee war, ausgerechnet Kiwis pflücken zu wollen. Wir hatten zwar vorab einige Erfahrungsberichte durchgelesen, die uns schon grob eine Vorstellung davon gaben, was uns erwartete, doch Beschreibungen wie: „man konnte bequem durchlaufen und die Früchte abernten“, passten absolut nicht in das Bild was sich uns bot. Die Kiwi, auch Chinesische Stachelbeere genannt, ist eine Schlingpflanze, von denen es männliche sowie weibliche Pflanzen gibt. Logischerweise bekommt man also nur Früchte, wenn man beide zusammen anpflanzt. Diese werden nach einem bestimmten Schema, auf einer Art Drahtdach herangezogen, welches aneinandergereiht, riesige Plantagen entstehen lässt. Die Frucht an sich, wächst somit geschützt unter einem dichten Blätterdach heran, unter dem man sich bei der Ernte hindurch bewegen muss. Soweit so gut, würden die Plantagen hier nicht den Anschein machen, als wären sie an die Körpergröße Kleinwüchsiger angepasst, so dass einem alleine der Gedanke daran dort arbeiten zu müssen, schon Schmerzen bereitete. Aber gut, wir ließen uns nicht entmutigen und waren gespannt was uns erwarten würde. Vielleicht gab es ja noch irgendwo im Hinterland streng geheime Plantagen, für Leute über eins siebzig. Wir informierten den zukünftigen Arbeitgeber über unsere Ankunft und bekamen daraufhin die weniger erfreuliche Nachricht, dass der Plantagenbesitzer nicht gewillt war Wochenend- sowie Feiertagszuschlag (der Anzac day, Tag des Australisch-neuseeländischen Armeekorps, stand vor der Tür) zu zahlen und deshalb die Ernte auf Anfang kommender Woche verschoben werde. Wenn wir möchten, so schlug er uns vor, könnten wir nach Opotiki fahren, wo es jetzt schon Arbeit gäbe und sobald die Ernte in Te Puke beginnen würde, sollten wieder zurück kommen. Er verwies auf eine Nummer, bei der wir es versuchen könnten und versprach sich zu melden, sobald es Neuigkeiten bezüglich des Erntebeginns gäbe. Tja, Opotiki lag knapp 190 Kilometer in die andere Richtung und eine kurze Nachforschung im Internet ergab, dass es dort keine kostenlosen Übernachtungsmöglichkeiten gab. Zumal sich auch unter dem angegebenen Kontakt niemand meldete, verzichteten wir darauf, uns wegen einer Woche in womöglich unnötige Kosten zu stürzen und beschlossen stattdessen, die Gegend um Te Puke herum zu erkunden. Das war, wie sich später herausstellte, in vielerlei Hinsicht die Richtige Entscheidung. Tags drauf machten sich nämlich bei mir die ersten Anzeichen einer Erkältung bemerkbar und das wären definitiv keine guten Vorraussetzungen für ein Pflücken auf Leistung gewesen.
Hinzu kam eine weitere Nachricht bezüglich des Arbeitsbeginns in Te Puke, der sich Aufgrund eines zu niedrigen Zuckergehaltes der Früchte, um drei weitere Tage nach hinten verschob. So langsam wurde uns das Ganze doch etwas suspekt. Nach anderthalb Wochen des ewigen Hinhaltens aufgrund stetig wechselnder Gründe, beschlossen wir, uns nicht mehr darauf zu verlassen und uns lieber vorsichtshalber um einen alternativen Job zu bemühen.
Dieses Vorhaben führte uns zu einer Hand voll Packhäusern, welche wir nacheinander abklapperten. Bei einem hatten wir schon auf dem Weg nach Te Puke das riesige „NO Vacancy“ Schild wahrgenommen, also konnten wir das gleich wieder von der Liste streichen. Das erste welches wir ansteuerten, war das größte der Umgebung, mit drei unabhängigen Packhäusern auf einem riesigen Gelände. Die Asiatin hinter der Rezeption, allem Anschein nach selbst ein Backpacker, händigte uns gleich einen Fragebogen aus, den es auszufüllen galt und fertigte eine Kopie unserer Pässe an. Verblüfft über den scheinbar schnellen Erfolg, füllten wir, nebst vier anderen Backpackern, die Formulare aus. Die Ernüchterung kam schnell, denn als wir die Bögen zurück gaben, legte man diese auf einen riesigen Stapel mit unzähligen anderen Anmeldeformularen, bedankte sich und wünschte uns einen schönen Tag. Gut, es handelte sich hier um das größte Packhaus, also musste das nicht unbedingt schlechtes heißen und so fragten wir nochmals nach, wie es denn nun weiter ginge. Über dem Kopf der Asiatin, deren Englischkenntnisse sich auf Begrüßungsfloskeln zu begrenzen schienen, häuften sich die Fragezeichen. Auch ein langsames wiederholen, Wort für Wort, brachte keinen Erfolg. Man grinste uns nur stumm entgegen. In dem Büro arbeiteten auch noch zwei Einheimische, welche unsere einseitige Konversation aber reichlich wenig zu kümmern schien. Wir starteten einen letzten Versuch und fragten, ob man uns informieren würde, sobald die Saison beginnt. Da, ein Lichtblick! Sie nickte eifrig und bejahte mehrfach unsere Frage. Ob sie einfach nur die Möglichkeit ergriff, uns endlich los zu werden oder es wirklich verstanden hatte, werden wir wohl nie erfahren, denn gemeldet hat sich bis zum heutigen Tage (sechs Monate später) immer noch niemand. Das hatten wir uns ohnehin schon fast gedacht, weshalb wir gleich zum nächsten Packhaus weiterfuhren. Im Büro angekommen, bekamen wir von den zwei netten Empfangsdamen Mitte fünfzig, schon beim stellen der Jobfrage mitleidige Blicke zugeworfen. Es täte ihnen leid, aber sie hätten nur noch Stellen in der Nachtschicht zu vergeben, entgegnete man uns mit tröstenden Worten. Wir fragten uns, was einem daran leid tun sollte, denn es war eine Möglichkeit zu arbeiten und ob wir das nun zu normalen Tageszeiten oder Nachts machten, spielte für uns dabei keine Rolle. Wir nahmen das Angebot überglücklich an und begannen sogleich, die ausgehändigten Formulare auszufüllen. Es folgte eine nette, aufgelockerte Unterhaltung. Eine der beiden erzählte von ihren deutschen Vorfahren und dass sie gerne mal nach Deutschland kommen würde, die andere interessierte sich für unsere bisherigen Erlebnisse. Wir erzählten ihr von Australien und den Jobs die wir dort ausgeübt hatten, woraufhin sie Jan musterte, etwas vor sich hin murmelte und sich für einen Augenblick entschuldigte. Wenige Minuten später kam sie freudestrahlend zurück und teilte uns mit, dass sie uns in der Tagschicht unterbringen könnte. Man benötige noch einen großen, starken Mann, der die fertig gepackten Kisten auf Paletten stapelt (einen sog. „Stacker“), sowie eine weitere Person zum sortieren der Kiwifrüchte (genannt „Grader“).
Wenngleich sich meine Erfahrungen diesbezüglich auf Avocados und Kirschen beschränkte, so war es ausreichend, um mich für diese Position zu qualifizieren. Yeehaaa - da mussten wir nicht zweimal überlegen! Natürlich hätten wir uns auch mit der Nachtschicht arrangieren können, aber so war es einfach perfekt. Keine mühsame Umstellung des Schlafrhythmus, kein nächtliches Zombieleben und als Grader verdiente ich sogar noch etwas mehr. Als zukünftige Mitarbeiter der heiß begehrten Tagesschicht, verließen wir wenig später freudestrahlend das Büro.
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