Die verbleibenden Tage bis zum Arbeitsantritt verbrachten wir wieder außerhalb Te Puke, im knapp dreißig Kilometer entfernten Tauranga. Als größte Stadt in der Umgebung mit unzähligen, kostenfreien Übernachtungsmöglichkeiten, war diese als Ausgangspunkt für die nächsten Tage geradezu ideal. Von dort aus erkundeten wir die nähere Umgebung, deckten uns im örtlichen „Pak´n Save“ (ein riesiger Supermarkt im Lagerhausstil) für die kommenden Wochen mit Lebensmitteln ein und machten eine weitere Bekanntschaft, auf die wir gerne verzichtet hätten. Im Gegensatz zu den Campspots in Hastings, waren diese hier neben einer maximalen Nutzungsdauer von zwei Tagen pro Kalendermonat, zusätzlich noch auf eine bestimmte Anzahl an Wohnmobilen pro Nacht beschränkt. Zumindest in der Praxis. Bis auf uns, schien das offensichtlich niemand so wirklich ernst zu nehmen, denn viele Spots, waren mit mehr als der doppelten Menge an Campern belegt, die eigentlich erlaubt war.
Wir zogen es dennoch vor, uns lieber an die Vorschriften zu halten und steuerten stets einen anderen Platz an, sobald die erlaubte Anzahl überschritten war. Eines Abends, wir waren ziemlich müde von einem ereignisreichen Tag und hatten bereits etliche Plätze vergebens angefahren, beschlossen wir, es ausnahmsweise den anderen Campern gleich zu tun und stellten uns auf einen Platz der offiziell nur drei Wohnmobile erlaubte. Das Dritte, ein großer Coasterbus, war gerade im Bergriff einzuparken, als wir dort ankamen.
Obwohl laut Schild nur drei erlaubt, waren fünf Stellplätze eingezeichnet und so stellten wir uns kurzerhand, auf einen der beiden verbleibenden. Es war ein netter Spot, direkt an einem Meeresarm, mit Blick auf einen wunderschönen Sonnenuntergang. Wir wollten gerade an den Strand vorlaufen, als die ältere Dame aus dem Coasterbus auf uns zu kam und fragte, ob wir die Nacht hier verbringen würden. Wir bejahten und stellten uns auf einen netten Plausch unter Campern ein. Doch bevor wir auch nur einen Satz über den schönen Sonnenuntergang verlieren konnten, setzte die Dame ein grimmiges Gesicht auf und warf uns alles andere als freundlich, ein „You can`t stay here!“ an den Kopf. Wir seien nach Ihnen angekommen und somit der vierte Camper auf diesem Platz, wetterte sie weiter und schwor dies auch dem Ranger mitzuteilen, wenn denn einer kommen würde. Entgeistert blickten wir die füllige Dame an, die kurz Luft holte, um uns mit weiteren Willkommensgrüßen zu überschütten. Sie brüstete sich in der Wohnmobilvereinigung zu sein und stellte klar, dass Backpacker wie wir, schuld daran sind, dass zahlreiche Spots geschlossen werden. Oh-Oh-Oh...wenn ich etwas überhaupt nicht abhaben kann, dann als einer dieser bereits erwähnten, asozialen Backpacker abgestempelt zu werden. Alleine anhand der Wahl unseres Campers ist es offensichtlich, dass wir nicht zu dieser Sparte gehören. Genau darauf versuchten wir sie freundlich hinzuweisen und merkten an, dass die inoffiziellen Wohnmobile auf den anderen Plätzen, welche wir zuvor angefahren hatten, allesamt ihrer Vereinigung angehörten. Scheinbar waren das nicht die Worte die sie hören wollte, denn sie peitschte wie wild mit dem Zeigefinger auf uns nieder und brüllte: „DIE kümmern mich nicht, IHR Backpacker seid die Wurzel des Übels...", gefolgt von vielen, weiteren Nettigkeiten, die eindeutig zuviel des Guten waren. Schluss mit lustig! Unfreundliche Worte sind eine Sache, aber derart falsche Anschuldigungen war ich nicht bereit auf uns sitzen zu lassen. Eine lautstarke Diskussion entfachte, die nun auch den Ehemann der Dame auf den Plan rief. Zum Glück behält in solchen Situationen zumindest einer von uns beiden immer einen kühlen Kopf, so dass diesmal Jan derjenige war, der sich in der Rolle des Zuredens übte und mich bat, wieder in den Camper zu steigen. Wiederwillig ließ ich ab, während Jan mich mit sanftem Nachdruck zurück zum Wagen schob. Er beschloss lieber einen anderen Campspot anzufahren, bevor ich der durchgedrehten Schachtel womöglich noch an die Gurgel springe. Gut, war wohl besser so... Gerade als wir den Yachthafen wieder verlassen wollten, sahen wir einen kleinen Menschenauflauf und wurden neugierig, was es da wohl tolles zu sehen gab.
Es handelte sich allem Anschein nach um Sportfischer, die gerade im Begriff waren ihren heutigen Fang zu präsentieren. Und der war gewaltig... So etwas hatten wir noch nicht gesehen! Zwei riesige Schwertfische wurde angekarrt und nacheinander an einem Seilzug in die Höhe gezogen. Die integrierte Waage ließ wissen, dass allein der größere, sage und schreibe, 240 Kilogramm wog. Unglaublich! Bisher kannten wir den Schwertfisch nur von Bildern und es war interessant, sich diese Dimensionen mal vor Augen führen zu können, aber es tat uns wahnsinnig Leid um das wunderschöne Tier. Uns wurde gesagt, dass es ein stundenlanger Kampf ist, bevor der Fisch aufgibt und sich einholen lässt. Um ihn zu fangen, wurde übrigens ein sechzig! Kilo schwerer Köder verwendet. Verrückt!! Die Sportfischer hinter uns gelassen, fuhren zu einem Camspot in der Innenstadt, welchen wir aufgrund des Wochenendes eigentlich meiden wollten, denn meist dienten diese Plätze dann als Treffpunkt für Jugendliche, was sich in der Regel nicht mit einer erholsamen Nachtruhe vereinbaren lässt.
So sorgten auch diesmal wieder einige Halbstarke für ordentlich Lärm, welchen wir aber kaum wahrnahmen, da wir eher damit beschäftigt war über die vorherigen Geschehnisse zu grübeln. Es betrübte einem doch ungemein, wenn man daran dachte, wie sehr wir uns auf Neuseeland gefreut hatten. Es schien sich alles irgendwie ins Negative zu wandeln. Etliche Fragen schwirrten einem durch den Kopf: Liegt es vielleicht an uns? Hatten wir einfach zu hohe Erwartungen??? - Ach, Schwamm drüber! Immer positiv denken, morgen ist ein neuer Tag. Lassen wir das Ganze einfach hinter uns und blicken nach vorne. Es kann nur besser werden! *!!! RUMMS !!!* - Ein lauter metallischer Knall riss uns jäh aus den Gedanken. Einem der Jugendlichen reichte es wohl nicht, den Bass ordentlich aufzudrehen, Bierflaschen auf dem Boden zu zerschmettern und kreischend über den Platz zu rennen. Nein, es schien wohl auch äußerst lustig zu sein, gegen unseren Camper zu schlagen. Guuut, dann finden wir doch mal raus, wie gastfreundlich die neuseeländische Polizei ist. Leider machten sich die Teenager aus dem Staub, bevor diese eintraf, aber wir hatten den Beamten das Kennzeichen durchgegeben und so machten diese sich gleich auf Suche. In Anbetracht des übermäßigen Alkoholkonsum des Fahrers, hoffen wir, dass sie erfolgreich waren. Die verbleibenden Stunden der Nacht, konnten wir dann glücklicherweise ohne weitere Zwischenfälle, schlafend verbringen. In der Früh wurden wir von einem Kaffeemobil geweckt, welches sich unmittelbar neben uns stellte und anfing Milch für die ersten Kunden des Tages aufzuschäumen. Beim Frühstück hatte ich schon fast Mitleid mit Jan, der tapfer sein aufgebrühtes Kaffeegranulat, in der Geschmacksrichtung "geröstete Blumenerde" schlürfte, während es nebenan wunderbar frisch gemahlenen Kaffee gab. Wir wollten gleich im Anschluss dem Wochenmarkt in Tauranga einen Besuch abstatten und so bestand unser Frühstück lediglich aus einer Banane, um noch Platz für etwaige Probierhäppchen zu lassen. Wir waren eigentlich gerade im Begriff loszufahren, als der Mann des Kaffeemobils auf uns zu kam und uns schon auf halbem Wege ein „Ihr könnt hier nicht stehen bleiben!“ zurief. Nicht SCHON wieder! Wir hatten echt nicht den Nerv für einen weiteren Tag wie den gestrigen. Er klärte uns mit ernster Miene darüber auf, dass der Softeiswagen in der nächsten halben Stunde kommen und sich ohne Rücksicht direkt vor uns stellen würde. Lachend fügte er hinzu, dass wir nicht die ersten wären, die hier zugeparkt den ganzen Tag verbringen müssten, weshalb er uns lieber vorwarnen möchte. Wir waren erleichtert, der Kaffeemann kam also in friedlicher Absicht! Er stellte sich uns als Andrew vor und freute sich riesig, dass wir aus Deutschland kamen, denn er hatte zwei Jahre dort gelebt und gab stolz seine hängengebliebenen Begrüßungsfloskeln zum besten. Er schwärmte von deutscher Bratwurst und anderen Schmankerl die es ihm angetan haben, wie beispielsweise der würzige Senf oder das knuspriges Brot. Hach ja, da konnten wir ihm nur zustimmen und schwelgten mit ihm in Erinnerungen. Durch seinen früheren Job ist er schon viel in der Welt herumgekommen und so hatten wir uns gegenseitig einiges zu erzählen. Wir erfuhren unter anderem, dass Andrew eigentlich gebürtiger Engländer war und erst vor fünf Jahren, zusammen mit seiner Frau, den Entschluss fasste nach Neuseeland zu ziehen und mit dem Kaffeemobil seine Rente aufzubessern. Das ist doch mal eine geniale, wenn auch außergewöhnliche Idee, wo er doch zuvor jahrelang in der Chefetage eines Unternehmens tätig war. Zu lohnen schien es sich in Anbetracht der kaffeehungrigen Neuseeländer auf jeden Fall, vor allem da er sich mit dem Mobil an jeden beliebigen Ort stellen konnte. Der Kinderspielplatz an dem er gerade stand, schien geradezu perfekt zu sein. Überall gestresste Mütter, die einen kleinen Koffeinschub gut gebrauchen konnten und Kinder die nach einer heißen Schokolade quengelten. Bevor wir uns auf den Wochenmarkt verabschieden konnten, winkte er uns an Theke und lud uns auf zwei Kaffee unserer Wahl ein. Ja, gibts denn so was!?
Wir bedankten uns überschwänglich für diese nette Geste. Nach dem gestrigen Horrortag, hatten wir die Hoffnung auf derart liebenswerte Menschen zu treffen, schon fast aufgegeben. Der gestrige Ärger verblasste im fluffig-feinen Milchschaum des Cappuccinos, während wir gemütlich über den Wochenmarkt in Tauranga schlenderten und uns an den zahlreichen Probierhäppchen versuchten. Beflügelt von der unerwarteten Wendung, kauften wir uns an einem Backstand sogar gleich drei verführerisch gut aussehende Kuchenstücke, die wir uns als Nachtisch fürs Abendbrot aufhoben. Anschließend machten wir uns auf den Weg zu einen großen Flohmarkt, in einem Nachbarort namens Bethlehem. Dort liefen uns weder die drei Könige noch Jesus höchstpersönlich über den Weg, dafür aber Allen und seine Frau Fiona. Beide waren Anfang Fünfzig und hatten einen Stand, der unsere Aufmerksamkeit erweckte.
Ihr liebevoll restaurierter VW "Bully" T2, aus dem uns ein quirliger Cockerspaniel begrüßte, war zwar auch nicht zu verachten, aber das eigentliche Augenmerk galt Allens ausgefallenem Handwerk, denn er beherrschte die Kunst der Münzschnitzerei. Etliche, wunderschöne Arbeiten mit Geldstücken aus aller Welt zierten seinen Stand. Auch der Schmuck und die Figuren aus altem Silberbesteck faszinierten uns sehr, so dass wir eine halbe Ewigkeit dort verbrachten, um jedes einzelne Stück zu bestaunen. So kamen wir ins Gespräch mit den beiden und erfuhren, dass auch Fiona gebürtig aus England kam, wo die zwei einige Jahre zusammen lebten und er das Münzhandwerk für sich entdeckte. Die beiden waren sehr aufgeschlossen und Allen erkundigte sich gleich, wie lange wir in der Gegend bleiben würden, denn ein weiteres Hobby das er mit Leidenschaft ausübte, war das Fischen und er fragte uns direkt, ob wir nicht Lust hätten, ihn mal auf seinem Boot zu begleiten. Klar, warum denn nicht!? Bis auf Jans missglückten Angelversuch in Australien, hatten wir es noch nie wirklich ausprobiert, also ergriffen wir die Chance dies zu ändern und tauschten unsere Telefonnummern aus. Sofern unsere Arbeitspläne es erlaubten und das Wetter sowie die Gezeiten mitspielten, würden wir uns also schon bald im Angeln üben dürfen und mit etwas Glück, wie Allen uns vorschwärmte, auch Killerwale aus nächster Nähe zu sehen bekommen. Wir konnten es jetzt schon kaum erwarten in See zu stechen und lauschten weiter gespannt Allens Angelgeschichten. Er erzählte uns auch von seinem letzten Fang, einem prächtigen Hoki, der gerade in der hauseigenen Räucherkammer schmorte und bot uns an, sofern wir nachmittags noch in der Gegend sein sollten, kurz bei ihnen vorbei zu schauen und ein Stückchen mitzunehmen. Ein Angebot das man nicht ablehnen kann und fanden uns etwas später bei ihnen ein. Sie wohnten etwas abgelegen, direkt an einem kleinen Meeresarm, in einem netten Häuschen mit großzügigem Garten. Das Stückchen Fisch entpuppte sich als Riesenfilet, welches Allen mit den Worten „So hält es euch länger“, in zwei Stücke schnitt und fein säuberlich vakuumierte. Wir waren sprachlos. Das alles sollte für uns sein? Wir konnten es nicht glauben, als sie uns darüber hinaus auch noch zum Abendessen einluden. Während Allen fachmännisch einen weiteren Hoki filetierte, kümmerte sich Fiona sich um die Beilagen. Alles wurde aus frischen Zutaten zubereitet und das Ergebnis schmeckte einfach himmlisch. Es gab fangfrischem Hoki in knuspriger Panade, Kartoffelbrei der einem auf der Zunge verging und eine gedünstete Gemüsebeilage an einer sündhaft guten Käsesoße. Ein richtiger Gaumenschmaus, für den wir uns nicht genug bedanken konnten. Wir unterhielten uns noch bis tief in die Nacht über alles Mögliche, tauschten Erlebnisse aus und lachten über Cockerspaniel "Thea" (hope I get it right), die auf Jans Schoß alle Viere von sich streckte und vor lauter Streicheleinheiten genüsslich grunzte. Bevor wir uns verabschiedeten, klärten sie uns noch über die kostenlosen Campspots in der Nähe auf, gaben Tipps, welche davon wir besser meiden sollten und offerierten uns obendrein ihren Carport, unter welchem wir den Camper bei Schlechtwetter abstellen könnten.
Der ohnehin schon außergewöhnliche Abend endete damit, dass die beiden verrieten, wo sich die Zweitschlüssel für das Haus befanden und uns anboten dieses samt Whirlpool im Garten, wann immer wir möchten, nutzen zu dürfen. Wenn wir nicht schon ohnehin sprachlos gewesen wären, dann waren wir es jetzt mit Sicherheit. Nach all dem, was uns bisher widerfahren ist, hätten wir im Lebtag nicht mehr damit gerechnet auf soviel Gastfreundschaft zu treffen....
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