Wir warteten gerade auf Andrew, der uns zu unserem vorerst letzten Arbeitstag abholen wollte und nutzten die Zeit zu überlegen, bei welchen Farmen wir im Anschluss vorbei fuhren um nach Arbeit zu fragen. Da klingelte mein Handy. Es war Rob der Apfelfarmer, der mir mitteilte dass er Arbeit für uns hätte und wir gleich morgen früh anfangen könnten. Er sprach ziemlich undeutlich, so dass ich mir nicht sicher war, ob ich Letzteres richtig verstanden hatte. Sagte er wirklich Blätter ausreißen?? Egal - wir sagten zu! Mein Gehör hatte mich nicht getäuscht, denn für die nächsten Wochen taten wir wirklich nichts anderes, als Blätter zu zupfen.Wieso, weshalb, warum? Ich fange am besten mal ganz von vorne an. Wie wir von Dan bereits erfuhren, wird in Rob und Cheryls Apfelplantage auf Qualität sehr großen Wert gelegt. Deshalb befindet sich ein Großteil der Bäume unter riesigen, begehbaren Netzen, welche dazu dienen, die Äpfel vor Papageien, sowie extremen Wettereinflüssen wie Hagel und starker Sonneneinstrahlung zu schützen.
Um sicher zu gehen dass die Äpfel gleichmäßig reifen und schöne rote Bäckchen bekommen, wurden nun Baum für Baum, alle Äpfel von störenden Blättern befreit. Klingt einfach, ist es eigentlich auch, wäre da nicht Rob, der einem mit Argusaugen beobachtete. Da der Ertrag der Ernte das komplette Jahresgehalt der beiden ausmacht, wird jedem Apfel nachgeweint bzw. besser gesagt nachgeflucht, der auf den Boden fällt. „Don´t knock off the apples!“, bekamen wir mit erhobenem Zeigefinger und strenger Stimme nahe gelegt. Wir stellten uns aber ganz gut an, denn Rob knockte selbst mehr Äpfel herunter wie wir beide zusammen. Er fluchte wie ein Rohrspatz und Cheryl ermahnte ihn ständig auf seine Wortwahl zu achten. Die beiden waren uns von Anfang an sympathisch und besonders über Rob konnte man sich köstlich amüsieren. Er hatte die raue Art eines australischen Farmers, konnte jedoch seine italienischen Wurzeln nicht verleugnen.
So machte er gerne Witze mit gewissen Anspielungen, die man von ihm eigentlich gar nicht erwarten würde, während Cheryl vergeblich versuchte ihm Manieren bei zu bringen. Allabendlich hatte er sein Ritual, bei dem er mit seinem Gator (dem „Allrad-Golfwagen“) und einem Gläschen Rotwein in der Hand durch die Plantage fuhr und die "Früchte" der harten Arbeit betrachtete. Unseres bestand darin, jeden Freitag Abend ins Pub zu gehen und unser Glück im „Joker-Spiel“ zu versuchen. Mitspielen konnte jeder der dem örtlichen Club angehörte und so bin ich, für einmalige zehn Dollar, seither Mitglied im Pemberton Sportclub „in the middle of nowhere“. Der Ablauf des Spiels war folgender: Für jedes alkoholische Getränk oder Essensbons für das Buffet, bekam man eine verschiedene Anzahl an Losnummern ausgehändigt. Um 19:00 Uhr wurde die Ausgabe beendet und das Spiel eingeläutet. Es wurde eine Nummer gezogen, dessen Besitzer sich eine Karte aus einem verdeckten Kartenspiel aussuchen durfte. Dieses befand sich in einer verschlossenen Glasvitrine und beinhaltete neben 32 Spielkarten einen Joker, den es zu finden galt.
Mittlerweile waren nur noch vier Karten übrig und der Jackpot auf unglaubliche 3000$ gestiegen. Bevor die ausgewählte Karte jedoch umgedreht wurde, bekam man ein Angebot unterbreitet. Es galt sich zu entscheiden: 100- 300$, plus drei Kisten Bier oder die Karte. Ganz im Stil von "Geh aufs Ganze", der grandiosen Spielshow mit dem "Zonk!" aus den 90er Jahren, wer sich von euch noch daran erinnern kann. Wie auch dort, gaben viele nach und wählten die Alternative, weshalb sich das Spiel schon seit Wochen in die Länge zog. Wir kauften uns meist den Essensbon und schlugen uns nach der Ziehung am Buffet die Bäuche voll, während wir auf die zweite Runde warteten, bei der es nochmals 50$ Cash zu gewinnen gab. Manche blieben aber nicht mehr so lange, weswegen hier und da Losnummern auf dem Boden lagen, die wir aufsammelten, um unsere Chancen zu erhöhen. Wie sich herausstellte, hätten wir das allerdings gar nicht gebraucht, denn die beiden Male die wir gewannen, waren es unsere eigenen Nummern. Die Arbeit auf der Plantage nahm derweil ihren gewohnten Ablauf. Inzwischen half auch Matthew, der Sohn der beiden, mit beim Blätter zupfen. Eigentlich ist er Architekt, doch da sein neuer Job in Perth erst in einer Woche beginnt, half er derweil bei seinen Eltern aus. Neben einer halben Stunde Mittag, hatten wir zwei kleine Pausen à zehn Minuten, die hier in OZ „Smoko“ genannt werden.
In diesen fuhr Cheryl mit dem Quad kurz zurück zum Haus und kam mit kaltem Wasser, Tee, Kaffe, und Keksen wieder. So saßen wir dann zusammen zwischen den Apfelbäumen im Schatten, knusperten einen Keks und streichelten Tom-Tom den Farmkater, welcher uns neugierig zwischen den Beinen umher strich. Rob warnte uns gleich vor, dass er ziemlich launisch sein kann und man plötzlich aus heiterem Himmel eine gewischt bekommen könnte. „You know, it`s like with the women“, zwinkerte er Jan zu. Was sollte denn das jetzt wieder heißen - Meeooow! ;) Nach Feierabend griffen wir stets auf das Angebot zurück, die Dusche im Shed benutzen zu dürfen. Es war zwar nur kaltes Wasser, aber warm war es ohnehin schon und so tat die Abkühlung am Abend ganz gut. UND, einem geschenkten Gaul, schaut man nicht ins Maul! An einem Tag war es ziemlich kalt und windig, weswegen Rob und Cheryl darauf bestanden, dass wir die warme Dusche in ihrem Haus benutzten. Etwas unwohl fühlten wir uns dabei schon, aber die warme Dusche war eine wahre Wohltat. Im Anschluss saßen wir, bei Bier, einem Gläschen Wein und Knabbereien, mit den beiden zusammen im Wohnzimmer und quatschten über alles mögliche. Dabei durften wir auch Cheryls Massagesessel ausprobieren. „Das hier ist am besten“, meinte sie und stellte mir den Sessel auf die höchste Stufe.
Dass ich nicht mit samt diesem, durchs ganze Wohnzimmer geruckelt bin war alles. Der Versuch währenddessen die Konversation mit Cheryl aufrecht zu erhalten, scheiterte an den Vibrationen des Sessels, die meiner Stimme den Klang einer elektrische Zahnbürste verlieh und für allgemeines Gelächter sorgten. Nach einer Woche Blätterzupfen mit Rob, Cheryl und Matthew, wurden noch fünf andere Backpacker aus dem Hostel zur Unterstützung geholt. Drei Franzosen, die allen mit ihrem ständigen Geplapper und der mäßigen Mitarbeit auf den Wecker gingen und ein Engländer mit seiner Ehefrau, einer Chilenin. Besonders eine Französin hatte Rob gefressen und damit war er nicht alleine. Ständig spielte sie das Unschuldslamm und versuchte mit Augenklimpern und Säusselstimme von ihrer mangelhaften Beteiligung abzulenken.
Von ihrer discotauglichen Arbeitskleidung und den gesanglichen Einlagen mal ganz zu schweigen. Obwohl Rob ihr mehrmals angedroht hatte sie rauszuwerfen, mogelte sie sich bis zum Ende mit durch. Für alle anderen bedeutete das, zähneknirschend ihre Arbeit mit zu erledigen. Beruhigend war die Tatsache, dass Rob und Cheryl immer ein Auge auf jeden hatten und ganz genau wussten, wer gut arbeitete und wer nicht. So konnten wir zumindest stets mit gutem Gewissen in den wohl verdienten Feierabend gehen. Jeden Freitag wurde auf der Veranda der beiden, bei einer gemütlichen Runde Bier, Limonade und Keksen, auf die vergangene Woche angestoßen. Einfach großartig! Mal abgesehen davon, ohne irgendwelche Hintergedanken, die Dusche des Chefs, seinen Wein und den Massagesessel genießen zu dürfen - Wo findet man das bei uns zu Hause noch? Dort kann man sich meist schon glücklich schätzen, wenn man zumindest ein ehrlich gemeintes „Dankeschön“ zu hören bekommt. Aber wie ihr seht ist es durchaus möglich und tut auch gar nicht weh! ;) Wir tranken gerade das letzte Bier, als Dan und Bill vorbeikamen und einen Karton Äpfel für die morgige Ernte pflückten. „See you tomorrow“, riefen uns die beiden zu, bevor sie wieder davonfuhren. Man konnte die verwunderten Blicke der anderen regelrecht spüren - aufgrund unserer Verbindung zu Dan, waren wir nämlich die einzigen, die für das Abschlussevent frei bekamen. Was uns aber nicht weiter kümmerte, denn wir hatten uns schließlich ordentilch den Allerwertesten dafür aufgerissen.
Dicke, fette Traubenbündel erwarteten uns. Alles hing schön offen da, so dass sie einem fast alleine durchs Ansehen schon in den Korb fielen. Wir flogen quasi durch die Reihen! Am Ende waren wir dann aber heilfroh, als es endlich endgültig vorbei war - unter Stöhnen und Keuchen pflückten wir die letzten Körbe für dieses Jahr. Diesmal warteten wir allerdings nicht auf die Ergebnisse, sondern fuhren, nach einem Bier für Jan, gleich wieder zurück zu Rob und Cheryl, um dort direkt weiter zu helfen. Bevor wir uns aufmachten, winkte Dan uns vom Traktor aus zu. Er bedankte sich für unsere Hilfe und lud uns zum jährlichen Abschlussessen der Familie ein. Wir konnten es gar nicht glauben, als wir uns am Freitag Abend im besten Restaurant der Stadt wieder fanden und vor der Qual der Wahl des abendlichen Gaumenschmauses standen.
Dan meinte nur, wir sollten uns nicht genieren. „Wer weiss wann ihr das nächste mal wieder etwas Richtiges zwischen die Zähne bekommt“, fügte er lachend hinzu. Na dann! Als Vorspeise wählte ich panierten Camembert an Preiselbeersoße. Bei $18 für fünf kleine Ministückchen, habe ich sogar die Preiselbeersoße mitgegessen, die ich eigentlich gar nicht mag. Für den Zwischengang wurden drei große Platten mit allerlei Häppchen aufgetischt, durch die sich der hungrige Jan unauffällig futterte. Als Hauptgang hatten wir Forelle und gegrillten Snapper mit Gemüse. Tropical Cheesecake, warmes Apple Crumble mit Vanilleeis, Creme Bruleè - die Auswahl des Nachtisches bereitete Kopfzerbrechen. Schlussendlich entschied ich mich für "Sticky Date Pudding", etwas typisch australisches, dass ich zwar bereits schon einmal probiert hatte, aber es schmeckte so gut, dass ich auch diesmal einfach nicht widerstehen konnte. Keine Ahnung warum das Pudding heißt, denn es sind eigentlich warme Dattelkuchenstücke über die ein ordentlicher Schuss Butterscotch gegeben wird. Mmmmh, einfach himmlisch!! Jan hatte sich für einen, ebenfalls sehr leckeren, Toblerone Cheescake entschieden. Zu seiner Freude hatte Dan noch elf verschiedene Weine zur Verkostung mitgebracht. Darunter waren eigene, ganz edle Stücke und teilweise Fremdweine, anderer namenhafter Weingüter. Eigentlich bin ich ja nicht so der Weintrinker, aber die Chance, kostbares Nass für über hundert Dollar die Flasche zu probieren, ließ auch ich mir nicht entgehen.
Nach den Weißweinen konnte ich jedoch nur noch am Glas nippen, ansonsten wäre ich vom Stuhl gekippt. Jan allerdings ließ nichts anbrennen und teste sich ausgiebig durch die Flaschen und die dazu gereichte Käseplatte. Wein im Gesamtwert von über 1000$ floss die Kehlen herunter - Da wurde einem allein von dem Betrag schon schwindelig. Ein Dessertwein, was auch sonst, hatte uns beiden am besten geschmeckt. Dan sprach einen Tost auf die abgeschlossene Ernte aus und bedankte sich mehrfach für die gute Arbeit die wir abgeliefert hatten. Für uns eine Selbstverständlichkeit - Wir waren eher der Meinung, dass wir diejenigen sein sollten, die sich bedanken müssten, was darin endete, dass nur so mit „Dankeschöns“ um sich geworfen wurde. Während wir in gemütlicher Runde unsere letzten Gläser leerten, verriet uns Dan, dass er sich an niemanden erinnern könnte, der jemals schneller gepflückt hätte wie ich und sie mir deshalb intern einen Spitznamen gegeben hatten. „The Gun!" rief er und sprang auf.
Dann machte er die typische Pose aus einem Westernduell und blies sich den imaginären Rauch vom Pistolenfinger. Wir kringelten uns vor Lachen! Im Anschluss bekamen Dan, John und Scottie (v.li) noch eine witzige Kochschürze verpasst. Besonders John seine sorgte für Lacher, denn er war Neuseeländer und Aussies zogen diese gerne mit Scherzen über die "besondere" Liebe zu ihren Schafen auf. Wie ihr seht war es ein richtig herzlicher, lustiger Abend und das nicht nur wegen des Weins. Nach zweieinhalb Wochen monotonen Blätterzupfens war es dann endlich soweit: Die Ernte der ersten Apfelsorte stand vor der Tür. Rob nahm uns beiseite und machte uns mit den Erntemaschinen vertraut. Diese werden Squirrels oder auch Cherrypicker genannt und eingesetzt, um die Äpfel in den oberen Bereichen des Baumes zu ernten. Am besten schaut ihr euch die folgenden Fotos an, dann erspar ich mir die bildliche Umschreibung. Steuern lässt sich der Squirrel mit Hilfe der Fußpedale, so dass man beide Hände zum Pflücken frei hat. Hier waren vor allem unsere Multitaskingfähigkeiten und unser Finger- beziehungsweise besser gesagt, unser Fußspitzengefühl gefragt. Anfangs hatten wir auch so unsere Probleme damit die Arme, Beine und Räder zu koordinieren und das erste Training war zum verzweifeln. Keiner von uns brachte es auch nur fertig gerade aus zu fahren. Doch nach einigen Durchläufen beherrschten wir die Grundkenntnisse der Steuerung und Rob erklärte uns, wie man den großen Erntebeutel richtig befüllt und anschließend in eine bereitgestellte Apfelkiste, den sogenannten „Bin“, wieder entleert. Der Beutel befindet sich zusammengefaltet direkt vor der Kabine und lässt sich mit Hilfe zweier Kordeln verstellen. In den Kordeln befinden sich in gewissen Abständen Knoten, damit man den Beutel nach und nach vergrößern kann. Allerdings musste man aufpassen, den Sack nur bis zu einem bestimmten Knoten zu entfalten, da dieser unten offen ist und man sonst die ganzen Äpfel vorzeitig entleert hätte.
Oberstes Gebot war auch hier: Äpfel muss man behandeln wie rohe Eier - nicht zuviel Druck der Finger, bloss nirgends anstoßen und bloss keine ruckartigen Bewegungen beim Entleeren des Beutels, sonst sind die Früchte unbrauchbar für den Weiterverkauf. In weiser Voraussicht hatte Rob für das Training extra ältere Bins bereitgestellt, so dass es nicht viel ausmachte als Jan beim Entladen beinahe Pressholz daraus machte. Zur weiteren Schadensbegrenzung ließ er uns erst an Baumreihen üben, dessen Äpfel nur noch für die Saftherstellung zu gebrauchen waren. So lernten wir auch gleich welche Äpfel wir bei der Qualitätsernte aussortieren mussten, denn genau diese galt es hier zu pflücken. Darunter fielen zum Beispiel alle mit dunkelgelben oder orangenen Verfärbungen, Äpfel mit Narben, die durch steifende Äste o.ä. entstanden, zu mickrige und welche mit schwarzen Flecken. Letzeres bildete sich immer dann, wenn der Apfel zuviel Stärke besaß. Ganz aussortiert wurden Früchte, welche von Vögeln angeknabbert wurden. Neben zahlreichen Kleinpapageien sind besonders die großen, schwarzen Kakadus für die Farmer ein rotes Tuch. Während der Blütezeit machen sie sich in windeseile über die frischen Knospen her und richten damit innerhalb weniger Minuten einen Schaden von über Tausend Dollar an. Natürlich sind auch die fertigen Äpfel Leckerbissen, welche sie sich nicht entgehen lassen. Da muss es aber dann schon das Beste vom Besten sein, weshalb zuerst einmal alle testweise angebissen werden, um sich anschließend den appetitlichsten davon herauszupicken.
Das sorgte für lustige Muster in den Äpfeln und großen Ärger bei den Farmern. Viele greifen verbotener Weise zur Waffe und schiessen auf die, nicht ohne Grund, unter Artenschutz stehenden Vögel. Doch es gibt auch papageienfreundlichere Methoden, wie wir am Beispiel von Rob & Cheryl sehen konnten. Zum einen ist ein Großteil ihrer Bäume unter Netzen und zum anderen kündigen sich die Kakadus meist mit lautem Gekreische an. Dadurch bleibt den beiden (fast immer) genug Zeit sich auf ein Quad zu schwingen und mit lautem Gehupe durch die Baumreihen zu fahren, um sie zu verscheuchen bevor sie sich über die Bäume hermachen. Doch es gab auch schlaue Kerlchen, die sich stumm an den Äpfeln zu schaffen machten und dann erst von uns bemerkt wurden, als wir durch die Reihen liefen. Die auf frischer Tat ertappten galt es schnellst möglich durch Klatschen zu verjagen, weshalb wir einen Flamenco zum Besten gaben, der so schrecklich war, dass sie augenblicklich das Weite suchten.
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