Am Ende des Regenbogens

Bereits während der Apfelzeit hatten wir zwischendurch bei Dan gearbeitet, wenn aufgrund zu starken Regens, die Ernte unterbrochen werden musste. Dann nämlich war die Haut der Äpfel zu empfindlich, so dass beim Pflücken leicht unschöne Druckstellen entstehen oder aber die Äpfel aufplatzen konnten. Hupend wurde dann durch die Plantage gefahren, alle eingesammelt und in den Shed gebracht, wo gemeinsam auf ein Abklingen des Regens gehofft wurde. Cheryl checkte währendessen die Wetterdaten. War keine Besserung in Sicht, dann wurden alle vorzeitig in den Feierabend geschickt und es gab keine Arbeit mehr, bis die Schauer wieder nachließen. Besonders wenn es bereits in der Nacht heftig regnete, konnte man davon ausgehen am nächsten Tag eine Nachricht von Cheryl auf dem Handy zu haben, die einem sagte "due to bad weather, no work today!". 

Für uns bedeutete das glücklicherweise kein Lohnausfall, denn wir durften jederzeit bei Dan an die Türe klopfen und dort solange weiter arbeiten, bis sich das Wetter wieder besserte. Er hatte uns dieses tolle Angebot unterbreitet, da noch einige Dinge zu erledigen waren, bei denen es nicht drauf ankam, wann und wie lange wir dafür Zeit hatten.  "Und falls nicht werde ich schon etwas für euch finden", fügte er damals noch hinzu. Wir waren überwältigt von soviel Hilfsbereitschaft und fanden, dass es an der Zeit war, ihm etwas davon zurück zu geben. Deshalb fassten wir den Entschluss, auf das schnelle Geld zu verzichten und Dan während der Pruning Saison zu unterstützen. Auch wenn wir anfangs ziemlich neidisch auf unsere Backpackerkollegen und ihre Verdienste waren, haben wir die Entscheidung nicht bereut. Wir erlebten eine tolle Zeit, konnten neue Fertigkeiten erlernen und viele Erfahrungen sammeln. So haben wir unter anderem Weinflaschen mit Labels versehen und verpackt. Die Hauptarbeit erledigte dabei eine Maschine. Unsere Aufgabe bestand darin, diese auf der einen Seite mit fertig verkorkten Weinfaschen zu füttern und darauf zu achten fehlerhafte Flaschen auszusortieren. Am anderen Ende galt es die fertig etikettierten Flaschen entgegenzunehmen, die Labels zu überprüfen und sie abschließend in Kartons à zwölf Stück zu verpacken. Die Flaschen liefen währenddessen über einem Laufband durch eine Art Waschanlage, wurden trocken geföhnt, mit einer Aluminiumkappe versiegelt und dem entsprechenden Label versehen. Der positive Nebeneffekt der fehlerhaften Flaschen bestand darin, dass wir uns jedes Mal ein paar davon mitnehmen durften. 

Jan war im 7. Himmel - ich wünschte es wäre eine Schokoladenfabrik gewesen! Vier Tage halfen wir beim Abfüllen der edlen Tropfen mit. Das sogenannte "Bottling" fand in einem riesigen mobilen Truck statt, der extra angemietet und an die einzelnen Weintanks angeschlossen wurde. Ich war dafür zuständig die Anlage mit den unterschiedlichen Weinflaschen zu befüllen, während Jan am anderen Ende, die fertig verkorkten Flaschen in große Kisten für die Einlagerung stapelte. Alleine an einem Tag wurden über 24000 Flaschen abgefüllt. Dabei kamen wir auch in den Genuss einen Tête de Cuvèe zu verkosten. Ein edler Rotwein der, entgegen unserer Erwartungen, richtig zart im Abgang war. Oho, jetzt benutzen wir sogar schon Fachsprache! Doch es war tatsächlich so, dass einem die Unterschiede viel mehr bewusst wurden, je länger man sich mit der Materie beschäftigte. So konnte selbst ich mittlerweile, obwohl ich nicht viel trinke, den Unterschied zwischen einem billigen und einem erstklassigen Wein schmecken. Dieser war teilweise echt gewaltig, weswegen wir hofften bei dem ganzen hochwertigen Wein für lau, nicht zu verwöhnt zu werden. Nebenbei erfuhren wir auch allerhand interessante Dinge rund um die Weinherstellung, wie etwa die Tatsache, dass alle billigen Weine von einer riesigen Erntemaschine gepflückt werden, die in kürzester Zeit das komplette Rebstück abernten kann. Im Gegensatz zur Handlese, bei der die Trauben unverletzt bleiben, ist das bei der maschinellen Ernte nicht der Fall, weshalb die Gefahr mikrobieller Tätigkeit oder der Oxidation des Mostes besteht. Das Lesegut wird deshalb zügig verarbeitet und gleich im Anschluss gepresst - mit samt Blättern, Fröschen, Spinnen und allem anderem Getier, was da sonst noch so versehentlich mit reingerutscht ist - Lecker!

Falls ihr also nach eurem Low Budget Weinabend am nächsten Morgen einen Frosch im Hals haben solltet, dann wisst ihr nun warum. Nach dem Bottling durften wir außerdem noch Erfahrungen bei der Olivenernte sammeln. Das Weingut produziert neben dem Wein auch eine kleine Anzahl an hochwertigem Olivenöl, das jedoch nur für exklusive Verkostungen, sowie für den Eigengebrauch bestimmt ist. Olivenpflücken ist eine lustige Angelegenheit, wenn man es ohne maschinelle Hilfe erledigt. Zuerst wurden großflächig Netze unter die Bäume gelegt und anschließend mit einem kleinen Rechen, der etwas an ein Sandkastenspielzeug erinnerte, die Oliven von den Ästen gekratzt. Dann wurden die Netze eingesammelt und über einem Sieb entleert, wo Blätter, Äste und Getier von Hand aussortiert wurden. Insgesamt vier Säcke Oliven wurden geerntet, bei dem jeder einzelne über 100kg wog.  Nach dem Pressen ergibt das dann ungefähr hundert Flaschen à 750ml. 

Nach diesem lustigen Erlebnis hatten wir erst einmal zwei Wochen Urlaub, in denen wir uns abermals nach Perth aufmachten, um unser Glück auf dem Automarkt zu versuchen. Und siehe da, diesmal hatten wir endlich unseren Traumcamper gefunden! Nachdem alle Formalitäten erledigt waren, machten wir uns daran sämtliche Habseligkeiten in unserem neuen Schatz zu verstauen und Bruce für die bevorstehende Renovierung vorzubereiten. Dabei stießen wir auf "Wörn", die Maus die uns seit geraumer Zeit mit ihren nächtlichen Exkursionen durch unseren Vorratsschrank, ab und an den Schlaf raubte. Er hat jede noch so verführerisch mit Erdnussbutter und Käse bestückte Falle verschmäht und sich lieber über unsere Fertigsuppen hergemacht. Wir stellten fest dass Wörn, der demnach wohl asiatischer Abstammung war, nicht nur Löcher in Suppenverpackungen fraß, sondern auch meinen Winterpulli sommertauglich machte. Den bevorstehenden Verkauf seiner geliebten Villa, konnte er jedoch psychisch nicht verkaften und nahm sich deshalb, mit einer Überdosis Texilstoff, in unserem Kleiderschrank das Leben. Wir erfüllten ihm seinen letzten Wunsch und erwiesen ihm am Strand von Fremantle  die letzte Ehre. So schnell werden wir Wörn wohl noch nicht vergessen, denn auch drei Wäschen später, umgibt unsere teuren Funktionsjacken noch immer sein letzter Geruch! 

Mit zwei Autos im Gepäck, traten wir einige Tage später wieder zur Arbeit an. Dan und seine Mitarbeiter hatten für uns ein paar Dinge vorbereitet, die all unsere Erwartungen übertrafen. Es wurden Waschmaschine und Trockner angeschlossen, in der Weinhalle eine Dusche aufgestellt und draussen, unter dem Vordach, ein kleines Wohnzimmer für uns eingerichtet. Das Wort Wohnzimmer war in diesem Fall keineswegs übertrieben, denn neben den zwei Sesseln und der aufgebauten Windschutzwand, hatten sie doch tatsächlich auch noch Teppichboden verlegt. Zur Krönung des Ganzen, stand dort obendrein noch ein Wohnwagen und ein riesiger BBQ, den wir benutzen durften.Uns wurde die Küche gezeigt, die neben Mikrowelle, Kühlschrank und Sandwichtoaster, auch noch über eine Delonghi Kaffeemaschine verfügte, an der wir uns nach Herzenslust bedienen durften. 

Mit so viel Luxus hatten wir nun wahrhaftig nicht gerechnet und waren dementsprechend baff. Eigentlich besaßen wir ja unseren Camper zum schlafen, aber da sie sich soviel Mühe gemacht hatten, zogen wir die ersten Wochen bis Scotti kam, in den Wohnwagen. Bevor wir mit der Arbeit loslegen konnten, erklärte Dan uns kurz den Ablauf des Prunings. Das ging hier nämlich etwas anders von statten, als auf den umliegenden Weingütern, die allesamt das mechanische Pruning anwenden, bei dem einfach alle Reben, fix mit einer Maschine, auf eine Höhe gekürzt werden. Hier hingegen, wurde jeder einzelne Rebstock individuell, von Hand zurückgeschnitten. Diese Arbeit wird nur von den erfahrenen Festangestellten, sowie von Dan selbst erledigt, denn beim sogenannten "technical Pruning" gilt es, vorausdenkend für die nächsten Jahre, alle schwachen beziehungsweise zu alten Triebe herauszuschneiden, so dass zum Schluss nur noch zwei Äste pro Rebstock übrig bleiben. Dafür reichten unsere Kenntnisse dann doch nicht aus und so war es uns ganz recht, uns mit einfacheren Dingen beschäftigen zu dürfen. Unsere Aufgabe war es zunächst, alles abgetrennte herauszurupfen, möglichst ohne dabei die zwei übrig gelassenen abzubrechen. 

Während Jan diese Arbeit durchgehend bis zum Ende der Saison ausübte, wurde ich nach zwei Wochen meiner eigentlichen Aufgabe, dem sogenannten „Wrapping“ zugewiesen. Dabei werden die zwei verbliebenen Äste vorsichtig um den Führungsdraht gewunden und mit einer Art Tackergerät daran befestigt. Das war "Girlywork" wie Dan es nannte, weil man dafür Ruhe und Fingerspitzengefühl benötigt, um die Äste nicht abzubrechen. Ich und innere Ruhe - Guter Witz! Zwischen dem Fluchen über einen mal wieder gebrochen Ast, hat es dann schlussendlich aber doch ganz gut geklappt. Als wir uns damals bei Dan nach unseren Arbeitszeiten erkundigten, entgenete er uns, dass wir das handhaben könnten, wie wir wollten. „Von mir aus könnt ihr von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang arbeiten“, scherzte er damals ohne zu ahnen, dass wir das wirklich machen würden. Es waren zwar sehr lange Tage, doch wir waren hier um zu arbeiten, also taten wir das auch - $ Ka-ching $ Ka-ching $! Abends ging es dann unter die lang ersehnte, warme Dusche und im Anschluss aßen wir in der Weinhalle gemütlich zu Abend. Nachts wurde es mittlerweile eisig kalt, so dass uns selbst das Olivenöl in der Flasche stockte. Da wir Anschluss an das Stromnetz besaßen, konnten wir vor dem Schlafengehen, den Camper mit einem kleinen Standheizer auf kuschelig-warme Temperatur bringen. Wir wussten zwar, dass es in Australien auch mal kalt werden kann, aber mit minus zwei Grad, bei denen wir uns allmorgendlich an die Arbeit machten, hatten wir nun doch nicht gerechnet. Mit der aufgehenden Sonne wurde es aber schnell wärmer und schon bald hieß es, sich aus den einzelnen Schichten zu pellen. 

Nach der fünften Woche wurde es langsam immer ungemütlicher, denn neben der Kälte, kamen nun auch noch Regen und starke Windböen hinzu. Zum Glück waren es meist nur kurze Nieselschauer, die langsam über die Landschaft zogen und bald alle Viertelstunde tat sich irgendwo ein neuer Regenbogen auf. Wenn das Sprichwort mit der Schüssel voll Gold stimmen würde, hätten wir alle Hände voll zu tun gehabt. Für uns hieß es dennoch, mehmals kreuz und quer durch die Reben zu rennen. Weniger in der Hoffnung auf Geldsegen, sonder eher der, trocken zu bleiben, denn selbstverständlich hing die Regenjacke, der man sich kurz zuvor wegen extremen Hitzestaus entledigt hatte, natürlich direkt am anderen Ende des Rebstücks. Immer öfters zogen Unwetterwolken über uns hinweg, die es in sich hatten. Trotz Regenmontur und Gummistiefeln waren wir innerhalb kürzester Zeit bis auf das letzte Hemd durchnässt. Es schüttete wie aus Eimern und der starke Wind peitschte uns den Regen nur so ins Gesicht. Glücklicherweise waren derart heftige Schauer aber oft nur von kurzer Dauer, so dass wir nach einer kleinen Unterbrechung, frisch getrocknet in die nächste Runde starten konnten. Zwei Mal stand uns das Wasser allerdings bis zum Ansatz in den Stiefeln, weshalb wir uns für einen vorzeitigen Feierabend und einer Extrarunde heißem Wasser unter der Dusche entschieden. 

Jeden Morgen sowie in den Pausen, nutzte Jan das Kaffeeangebot und gönnte sich einen frisch gemahlenen Cappucchino aus der Delonghi-Maschine. Picardy machte auch bei den Kaffeebohnen keine halben Sachen und so stand uns qualitativ hochwertiger, extrem teurer Arabicakaffee zur Verfügung. Deshalb musste selbstverständlich auch ich mal eine Tasse probieren und feststellten, dass ich mich daran gewöhnen könnte. Besonders weil dieses nette Maschinchen auch noch so tollen, fluffigen Milchschaum zaubern konnte! Zwischen oder gerade wegen (!?) dem ganzen Kaffee, arbeiteten wir tagtäglich, ununterbrochen in den Reben, weshalb uns Dan zwangsweise nach den ersten zwei Wochen, ein Sonntagsarbeitsverbot verhängen musste, damit wir uns zumindest mal einen Tag Ruhe gönnten. Den verbachten wir dann aber selten mit Faullenzen, sondern arbeiteten daran Bruce für den bevorstehenden Verkauf aufzuhübschen. Bereits hier in der Umgebung hatten wir versucht Abnehmer für ihn zu finden. Wir hängten überall Flyer auf und an der Heckscheibe von Bruce prangte ein, von mir mit rotem Klebeband angebrachtes, großes „4 Sale“ mit unserer Telefonnummer. Damit haben wir anschließend die Werbetrommel gerührt, sind durch die Straßen Pembertons gefahren und haben demonstrativ vor dem Hostel geparkt. Der Witz an der Sache war, dass wir nach der ganzen Aktion bemerkten, dass ich Blondchen eine falsche Handynummer aufgeklebt hatte und uns, selbst wenn jemand Interesse gehabt haben sollte, garantiert niemand anrufen würde. 

Da wir aber ohnehin nicht damit rechneten, dass hier jemand das nötige Kleingeld in der Tasche hatte, um Bruce zu dem von uns angesetzten Preis zu kaufen, war es eher witzig, wie tragisch. Die Sache mit meiner Kamera hingegen weniger. Bereits in der zweiten Woche des Prunings hatte diese, dank der Chinesendusche in Bunbury, das zeitliche gesegnet. Display schwarz, nichts ging mehr! Ich durchforstete das ganze Internet auf der Suche nach hilfreichen Tipps und Tricks, doch alle Reanimationsversuche blieben erfolglos. Wir besaßen zwar noch Jan seine, doch wir wollten in jedem Fall verhindern, uns um die verbleibende Kamera zu prügeln. Also musste wieder eine Zweite her. Nächtelang durchforstete ich das Internet und kam zu dem Entschluss, die kostengünstigste Variante zu wählen. Nicht im Sinne der Kamera, der wollte ich treu bleiben, aber da sie zur oberen Preisklasse gehört, schluckten wir ganz schön über die australischen Preise. Knapp $2500 mehr sollte man dafür hinblättern und so blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit dem Grauimport aus Hong Kong anzufreunden. Das ist nichts illegales, jedoch kann man die Garantie nur in dem Land in Anspruch nehmen, in dem sie gekauft wurde. Da wir während diesem Zeitraum sowieso noch am Reisen sind, spielte das also keine Rolle. Ohne eingetragenen, australischen Wohnsitz war es allerdings ein nervenzehrender Kampf mit den Formalitäten, den wir aber nach einigen schlaflosen Nächten, erfolgreich beenden konnten. Nun hieß es abwarten und fleißig Kaffe trinken. 

Ich stand teilweise noch früher auf, um eine halbe Stunde mehr rauszuholen, damit die Reisekasse durch die ungeplante Ausgabe, trotz allem nicht all zu sehr belastet wurde. Mittlerweile beherrschte ich das Wrappen mit geschlossenen Augen, weswegen es nichts ausmachte, dass es eigentlich noch stockfinster war. Dan muss sicherlich gedacht haben: Die spinnen die Deutschen! Doch scheinbar hatten wir unsere Sache gut gemacht, denn am Ende durften wir sogar in den heiligen Abschnitt des Weingutes. Es handelte sich um die Reihen des Tête de Cuvèe, einem edlen Wein der Oberklasse, dessen Flaschen für über $80 das Stück gehandelt werden.In sein Heiligtum lässt Bill normalerweise niemanden rein und schon zweimal keinen Backpacker. John erzählte uns, dass selbst er dort erst nach fünf Jahren prunen durfte und wir uns also sehr geehrt fühlen düften. Nachdem Jan zusammen mit Bill den Abschnitt gesäubert hatte, war es wieder Zeit für Girlywork. 

Ich hatte Angst, die Äste überhaupt nur zu berühren, in der Vorstellung das noble Gehölz könnte allein dadurch schon Schaden tragen. Mit äußerster Vorsicht, arbeitete ich mich ganz sorgfältig durch die Reihen. Hier wurde alles noch auf die ganz altmodische Art erledigt. Ich bekam einen Köcher mit Drahtstückchen und einen kleinen "Häkel-Haken", mit dem man kunstvoll eine Schleife drehen musste, um die wertvollen Äste mit dem Führungsdraht zu verbinden. Das hat richtig Spaß gemacht. Ich fand es ganz nett, es so zu machen wie früher und nicht mit dieser "Terminator-Tackerpistole" die ich bisher hatte. Allerdings fragte ich mich bereits nach wenigen Minuten, ob man es wirklich als Ehre bezeichnen konnte, in diesem Abschnitt zu arbeiten, denn die Rebstöcke endeten knapp zehn Zentimeter über dem Boden, so dass selbst der kleinste Liliputaner einen krummen Rücken bekäme. Alle Versuche eine halbwegs angenehme Position zu finden scheiterten. Ob in der Hocke, auf dem Hosenboden oder die "trinkende Giraffe" - alles unbequem, schmerzhaft oder nass. Zum Glück waren es nur 1.000 Rebstöcke, so dass ich in anderthalb Tagen damit abschließen konnte. Somit wurde am 10. August, nach neun Wochen, 25.000(!) Rebstöcken und zahlreichen, zerstörten Handschuhen, der letzte Ast gewrapped. Eigentlich hatten wir damit unsere Arbeit auf dem Weingut abgeschlossen, wenn meine Kamera sich nicht im australischen Paketdschungel verirrt und Kohei, dem wir einen Lift nach Perth geben wollten, nicht unerwartet noch eine Woche länger hätte arbeiten müssen. Aufgrund dessen verschaffte uns Dan noch eine Woche anderweitig Arbeit. Wir durften helfen, alle Führungsdrähte herunter zu nehmen, damit die neuen Triebe frei wachsen können. Dabei sollte für uns das Sprichwort mit dem Regenbogen, doch noch etwas wahres beinhalten. Wir waren gerade in den Reben nahe einer Straße beschäftigt, als ein Auto mit vollbepacktem Hänger vorbei fuhr. Es gab einen lauten Knall, Splitter flogen, Glas zerbrach und Papier flog durch die Luft. 

Das Auto hingegen fuhr weiter. Wir versuchten zu erkennen was es verloren hatte, aber es war zu weit weg und so arbeiteten wir erst einmal weiter. Kurze Zeit später musste ich dann doch meiner Neugier nachgeben und lief hoch zur Straße. Überall lagen Scherben, Holz, anderer Müll und Männerunterwäsche (!?). Da das Zeug teilweise zwischen den Reben lag, beschloss ich es kurz einzusammeln, bevor der Wind alles verwehte. Für die Männerslips musste mein Schuh herhalten. Als ich anschließend durch das hohe Gras den Hang zur Straße hochsteigen wollte, traute ich meinen Augen kaum. Dort lag ein funfzig Dollar Schein zu meinen Füßen, daneben ein paar Münzen, ein Stück weiter ein US Dollar und ein alter 100 Dollar Schein. Oben an der Straße angekommen lagen noch mehr alte Münzen auf dem Asphalt. Während mittlerweile weitere Autos langsamer wurden und sich umschauten, machte ich mich wieder an die Arbeit und wir beschlossen nach Feierabend nochmals auf Schatzsuche zu gehen. Bis auf ein paar überfahrene Münzen, konnten wir jedoch nichts mehr finden. Wir vermuteten mal, dass es ein Münzglas war, was mit samt einer Schublade vom Hänger fiel. Derjenige der das verloren hat, wird ganz schön geflucht haben, als er es bemerkte. Aber gut, was sollten wir machen, es liegen lassen? Ausschreiben, dass wir Geld gefunden haben? Wir beschlossen es in unser Schatzkästchen zu legen und uns irgendwann etwas ganz Besonderes davon zu gönnen. Die restliche Woche durften wir nochmals Weinflaschen mit Labels versehen und beim Pruning der Olivenbäume mithelfen. 

Mit einer Säge bewaffnet machten wir uns an die Arbeit. Alle Äste die nach oben wuchsen mussten weg. Dabei galt es darauf zu achten, die umliegende Rinde nicht mit der Säge zu verletzen, da dort im nächsten Jahr sonst überall neue Äste wachsen. Wir versuchten uns so gut es ging in Schadensbegrenzung, denn das war einfacher gesagt als getan. Anschließend beluden wir den Ausschnitt auf einen Hänger und tuckerten mit dem Traktor auf die nahe gelegene Weide, wo alles auf einen großen Haufen geschmissen wurde. Es erinnerte uns etwas an die Vorbereitungen für das Fastnachtsfeuer auf dem Tüllinger Berg. Leider wird der Haufen nur zum Sinn und Zweck verbrannt, ohne Würstchen grillen, „Schibi-Schibo“ & Co, sonst wären wir doch glatt noch länger geblieben. So hieß es aber nach zehn Wochen und einem Abschiedsessen mit Dans Familie, Lebewohl zu sagen. Die Kamera hatte endlich den Weg zu mir gefunden, Kohei war Abfahrtsbereit und unsere Wein- und Olivenölvorräte waren aufgefüllt. Mit den Worten „Nehmt was ihr gebrauchen könnt, den Rest werfen wir weg!“, bekamen wir noch eine riesige Kiste voll mit Campingzubehör, welche Backpacker letztes Jahr bei ihnen zurückgelassen und niemals wieder abgeholt hatten. Es war wie Weihnachten und Ostern zusammen. Neben einem Campingkocher mit zig Gaskartuschen und einem warmen Kathmandu Schlafsack, war beispielsweise auch ein Surfwetsuit und nagelneue Boxhandschuhe mit Trainingsequipment dabei. Da werden wir uns doch in Zukunft mal in die Fluten stürzen, am Springseil betägtigen und uns im Schattenboxen üben. Alles was wir nicht brauchen konnten, stopften wir als Verkaufsargumente in die letzten freien Ecken von Bruce. Unser stetiger Begleiter der letzten Wochen war Johns Hund Chuck, genannt Chucky. Er ist ein Deutsch Kurzhaar, neun Monate alt und etwas unerzogen, was daran liegt dass Herrchen nicht immer konsequent durchgreift. Deshalb unternimmt er so ziemlich jeden Tag unerlaubte Ausflüge zum Nachbarshund und zerkleinert beziehungsweise frisst mit Vorliebe Johns Eigentum. 

So hat er zum Beispiel den Kombi, mit dem John die Fahrten auf dem Weingut erledigt, komplett zerlegt. Die Kopfstützen wurden eliminiert, Lenkrad, Handbremse, Kupplung, ja sogar die Decke, hat er bis auf das Metall herunter geknabbert. Das Auto sieht aus als wäre eine Horde Termiten darüber hergefallen! Einmal erzählte uns John, er könne seine Autoschlüssel nicht mehr finden - Kurz darauf hat Chucky sie wieder ausgekotzt. Im Gegensatz zu uns, fand John das alles weniger lustig, doch die Geschichten waren einfach zu komisch, um nicht darüber lachen zu müssen! So hat er auch seine Brille zerlegt und das Handy verschluckt, doch am liebsten frisst er seine Boxershorts. Auch Johns geliebtes Arbeitshirt hatte seit neustem zwei Faustgroße Löcher auf dem Rücken. Dreimal dürft ihr raten wie die da reingekommen sind. Mutierte Riesenmotten waren es jedenfalls nicht! Neben seinen Lastern ist Chucky aber ein absolut liebenswertes Kerlchen. 

"Jeden morgen kam er "grinsend" angerannt und begrüßte uns stürmisch. Mittags saß er dann bei uns, um einem das Essen aus dem Mund zu starren. Beinahe täglich klaute er meine Hausschuhe und brachte sie schwanzwedelnd seinem Herrchen. Glücklicherweise hat er sie stets nur apportiert, statt zerkleinert. Wann immer möglich, holte er sich Streicheleinheiten ab, brachte uns sein Spielzeug und forderte uns auf, eine Runde mit ihm herumzutollen. Er hat uns viel Freude bereitet und durch sein Beisein beziehungsweise vor allem durch seine Aktionen, die langen Arbeitstage etwas aufgelockert. Es war ein seltsames Gefühl, nach so langer Zeit den Ort zu verlassen. Auch wenn Pemberton eigentlich nicht wirklich viel zu bieten hatte, fühlten wir uns während des packens der sieben Sachen, als würde wir von "daheim" weggehen. Es war für das letzte halbe Jahr unser Zuhause, wo wir viele nette Menschen kennengelernt haben, deren Gastfreundschaft genießen durften und uns einige davon sehr ans Herz gewachsen sind. Zu denen zählte beispielsweise auch Tamara, deren Waschsalon damals unsere erste Anlaufstelle auf der Suche nach Arbeit war. Sie empfing uns vom ersten Moment an so herzlich, dass wir das Gefühl hatten wir würden uns schon ewig kennen. Sie machte uns Kaffee, wärend wir unsere Wäsche wuschen und gab uns ständig Tipps wo es Arbeit geben könnte. Jedes Ma,l wenn wir in Manjimup waren, statteten wir ihr einen Besuch ab und sofern sie Zeit hatte, lud sie uns ein, ihr in ihrer Waschküche Gesellschaft zu leisten. Die uralten Metallwaschmaschinen, die nebenbei bemerkt eher aussahen wie große Feueröfen, drehten unter lautem Geklapper ihre Runden, während sie uns einen selbstgebrauten Bourbon servierte. Er war richtig gut, viel besser als die Komerziellen, doch trotz der Zugabe von Cola und Eis war es ein ziemlich schüttelndes Erlebnis. Zumindest für mich - als Zutat einer leckeren, mit Kakaopulver bestäubten Zartbitterpraline hingegen, wäre er ein wahres Gedicht! Seit unserer Ankunft wollte sie uns zu sich einladen, aber da wir ständig arbeiteten und sie sich den Knöchel gebrochen hatte, wurde daraus leider erst kurz vor unserer Abreise etwas. Ihr Haus glich einem Museum. Bereits im Vorgarten erwartete einem ein uralter Traktor und im Inneren begab man sich, dank der zahlreichen Relikte vergangener Tage, auf eine wahre Zeitreise durch das letzte Jahrhundert. Sie warnte uns gleich vor ihrem Hund "Soldier", zu Deutsch Soldat. Wir sollten keine Angst haben, sie würde zwar kläffen aber nichts tun. 

"Sie ist eine richtige Schmusebacke und sobald sie euch kennt, werdet ihr  sie nicht mehr losbekommen", versprach uns Tamara. Lustiger Name für ein Schoßhündchen, dachte ich noch kurz bevor es um die Ecke bog. Mit markdurchdringendem Geknurre und Gebelle kam Soldier auf uns zugestampft. Es war ein riesiger, muskelbepackter Staffordshire Bullterrier und wir hofften augenblicklich noch mit allen Gliedmaßen das Haus wieder verlassen zu können. Doch Tamara behielt glücklcherweise recht. Bei uns angekommen, schleckte sie einem sogleich die Hand ab und wich uns nicht mehr von der Seite. Hörte man auf mit Streicheln, stupste sie einem mit der Nase an und legte dem ausgewählten "Kraul-Opfer" sogleich ihre überdimensionale Pfote aufs Knie. Im Laufe des Abends bekam Soldier dann noch ein ganz schickes, blaues Mäntelchen angezogen, weil es draussen ja so kalt war. Also doch ein Schoßhündchen! Zusammen mit anderen Freunden Tamaras, saßen wir in der großen Garage im Garten, die ebenfalls bis oben hin mit antiken Schätzen vollgestellt war. Ihr Mann machte sich daran Holz zu hacken und feuerte den selbst zusammengezimmerten Bollerofen an. Alle drängten sich um diesen herum, wärmten sich die Hände und nippten an einem Glas hausgemachtem Bourbon, damit einem auch von innen ordentlich warm wurde. Als der Ofen nach einiger Zeit auf Betriebstemperatur war, mussten wir dann aber alle etwas auf Abstand gehen. Das Ding strahlte so eine Hitze aus, dass die Plastikgartenstühle drohten wegzuschmelzen und einem die Hose fast Feuer fing. Der Abend war locker und ungezwungen.

Es gab Musik, Satay-Spieße wurden auf dem Ofen gegrillt, aus einem uralten Getränkeautomaten konnte man sich ein Bier ziehen und Soldier drehte kontinuierlich ihre Runden, um nach Streicheleinheiten zu betteln. Bis spät in die Nacht wurde sich über alle möglichen Dinge unterhalten, bis sich gemächlich einer nach dem anderen verabschiedete. Zum Schluss schien Tamaras Mann sich jedoch in einer Endlosschleife des Redens zu befinden und wir müssen zugeben, dass wir echt froh waren, als wir es nach zig Anläufen dann endlich geschafft hatten, uns zu verabschieden. Am Morgen unserer Abfahrt kam John nochmals vorbei, um mit seinem kaltschnäuzigen Frechdachs Lebewohl zu sagen. Wir hatten für ihn noch eine Foto-CD mit Bildern von Chuck gebrannt, über die er sich riesig freute. Chucky bekam zum Abschied einen Football und eine Frisbee von uns geschenkt, was ihn jedoch nicht daran hinderte, sich dennoch heimlich einige persönliche Andenken von uns zu ergattern, indem er aus meiner Wäschebox einen Schal holte, den er stolz John überbrachte. Zum Glück hatte ich meine Unterwäsche bereits separat verstaut, sonst wäre es womöglich peinlich geworden. Weil es Spaß macht fremdes Eigentum zu stibitzen, nahm er sich anschließend einen von Jans FlipFlops und spurtete freudig damit durch die Reben. Da er ohne diesen wieder zurück kam, wird Dan beim nächsten Mähen, neben Plüschtieren und Bällen, wohl auch noch ein Flip Flop um die Ohren fliegen. Leider ist am Tag vor unserer Abfahrt etwas sehr tragisches in Dans Familie passiert, so dass wir leider nicht mehr die Möglichkeit hatten, uns ein letztes Mal persönlich bei ihm für alles zu bedanken. Er ließ sich von John entschuldigen und nachdem wir von Bill und Sandra verabschiedet wurden, machten wir uns auf die letzte Fahrt über das Weingut. Es war eine wirklich schöne Zeit, mit dem wohl besten Chardonay Australiens...

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